"Besser pitchen" Blog

Blog #4: Bauchgefühl oder Bewertungsbogen: Was einen Pitch wirklich entscheidet

Geschrieben von Jens Erichsen | 29.01.25 11:52
In einer Ausschreibung bringen alle Agenturen ihre besten Leute und Ideen mit – doch ob die für das Briefing passende Agentur am Ende den Zuschlag bekommt, hängt oft nicht nur von der kreativen oder fachlichen Brillanz ab, sondern auch von der Art und Weise, wie das Auswahlverfahren durchgeführt wird. Streng strukturiert oder offen für alle Beobachtungen?
 
Ein Verfahren gilt als unstrukturiert, wenn es keine klar definierten, nachvollziehbaren Abläufe und Bewertungskriterien aufweist und die Erhebung sowie Auswertung der Informationen weitgehend ad-hoc und eindrucksbasiert erfolgt. Dies zeigt sich darin, wenn eines (!) der folgenden Kriterien nicht erfüllt ist:
 
  • Ziele und Kriterien sind diffus oder gar nicht festgelegt
  • Beobachtung und Beurteilung erfolgen spontan und nicht anhand vorab definierter Skalen oder Leitfäden
  • Es gibt keine systematische Auswertung (z. B. anhand vorab definierter Anforderungen)
  • Entscheidungen sind abhängig von persönlichen Eindrücken, Sympathien oder zufälligen Einflüssen
Insbesondere der letzte Punkt kommt häufig vor, was auch menschlich absolut nachvollziehbar ist. Und es ist auch viel weniger aufwändig, einfach den Bauch entscheiden zu lassen. In Wirklichkeit können wir uns weder auf unseren Bauch noch auf unsere Wahrnehmung verlassen. Wir treffen dann schlechte Entscheidungen, entweder aufgrund von Verzerrungen (u. a. durch Vorurteile oder Halo-Effekte) oder wegen fehlender Objektivität.
 
Strukturierte Beobachtung und Bewertung in Pitchprozessen ist mehr als nur ein rigides Festhalten an Kriterienlisten. Sie ist eine systematische, transparente Herangehensweise, die dafür sorgt, dass wir so objektiv und fair wie möglich entscheiden. Dabei spielt die DIN 33430, die sich vorwiegend mit berufsbezogenen Eignungsbeurteilungen befasst, eine zentrale Rolle. Übertragen auf Pitchprozesse liefert sie uns einen Kompass für Planung, Durchführung und Auswertung – und damit ein starkes Instrument, um Verzerrungen in der Beurteilung zu vermeiden.
 

Was bedeutet „Strukturierung“ eigentlich?

Unter „Strukturierung“ verstehen wir in diesem Kontext die systematische Planung und Umsetzung von Beobachtungs- und Bewertungsprozessen. Das umfasst:
 
  1. Klare Kriterien: Welche Merkmale sind tatsächlich relevant? Z. B. Kreativität, strategische Passung oder finanzielle Rentabilität.
  2. Objektive Messgrößen: Wie werden diese Merkmale erfasst? Bestenfalls durch vordefinierte Skalen, Checklisten oder standardisierte Beobachtungsbögen.
  3. Transparenter Ablauf: Wer beobachtet wann, in welchem Format und mit welchen Hilfsmitteln?
  4. Nachvollziehbare Auswertung: Wie werden die erhobenen Daten aggregiert, gewichtet und interpretiert?
 
Durch diese Elemente wird die Bewertung nachvollziehbar und für alle Beteiligten transparenter. Dies fördert nicht nur die Akzeptanz der Pitch-Ergebnisse, sondern steigert auch die Validität – man beurteilt tatsächlich diejenigen Kompetenzen und Konzepte, die für die Entscheidung entscheidend sind.
 

Bedeutung für objektive Ergebnisse

Bei unstrukturierten oder nur teilstrukturierten Verfahren fließen intuitiv jede Menge subjektive Faktoren in die Entscheidungsfindung ein. Von persönlichen Sympathien über Halo-Effekte („Wer hier gut war, ist bestimmt auch dort gut.“) bis hin zu klassischen Confirmation Biases („Ich halte Team A für kompetent, also werte ich dessen Fehler weniger stark.“).
 
DIN 33430 fordert in diesem Zusammenhang vor allem eine hohe Objektivität und Reliabilität. Übertragen auf Pitchprozesse lässt sich das so verstehen:
 
  1. Objektivität: Die Ergebnisse sollten unabhängig von der Person sein, die die Bewertung vornimmt. Das gelingt beispielsweise durch standardisierte Bewertungsbögen und präzise Anweisungen.
  2. Reliabilität: Das Verfahren sollte zuverlässig sein – sprich, ähnliche Beobachtungen und Bewertungen sollten unter denselben Bedingungen zu ähnlichen Resultaten führen.
 
Eine strukturierte Vorgehensweise hilft also nicht nur, zufällige Verzerrungen auszuschließen, sondern fördert auch eine gewisse Reproduzierbarkeit der Ergebnisse. Mit anderen Worten: Es ist wahrscheinlicher, dass zwei unterschiedliche Entscheidungsgremien, die beide strukturiert vorgehen, zum selben Ergebnis kommen.
 

Wie setze ich einen "strukturierten Prozess" auf?

Anforderungsprofil erstellen  
Beginne damit, die Anforderungen an den Pitch klar zu definieren. Welche Leistungsmerkmale sind ausschlaggebend? Für eine Agentur-Pitch etwa könnten das Innovationsgrad, Marktpotenzial und Teamkompetenz sein oder vielleicht Kreativität, Budget- und Zeitplankonformität sowie Referenzprojekte. Dieses Anforderungsprofil bildet die Grundlage aller späteren Bewertungen.
 
Kriterien und Skalen festlegen  
Lege konkrete Kriterien fest, die sich aus dem Anforderungsprofil ableiten. Diese sollten messbar sein. Beispiel: Kreativität könnte über eine Skala von 1 (sehr konventionell) bis 5 (bahnbrechend neu) bewertet werden. Wichtig ist, dass alle Beobachter dieselbe Definition und dieselben Skalen verwenden.
 
Beobachtungsbögen entwerfen  
Gestalte für jedes Kriterium einen Beobachtungsbogen oder eine Checkliste. Halte zu jedem Kriterium fest, was genau beobachtet werden soll. Achte darauf, offene Fragen mit eindeutigen Hinweisen zu ergänzen. So vermeidest Du Interpretationsspielräume. 
 
Beobachter schulen  
Egal, ob es sich um interne Entscheider oder externe Berater handelt: Kurze Schulungen sind essenziell. Erkläre, warum bestimmte Kriterien wichtig sind und wie man sie erkennt. Mache auf typische Wahrnehmungsverzerrungen aufmerksam. Das Ziel: Ein gemeinsames Verständnis von professioneller, objektiver Beobachtung.
 
Durchführung des strukturierten Beobachtungsprozesses  
Plane den Pitch-Ablauf so, dass jede teilnehmende Agentur  dieselben Rahmenbedingungen erhält. Ein fester Zeitrahmen, standardisierte Fragesequenzen und Protokolle helfen dabei, Fairness sicherzustellen. Genauso wichtig: Sorge für ein ruhiges Umfeld, in dem fokussiertes Beobachten möglich ist.
 
Bewertung und Auswertung  

Nach der Beobachtung folgt die Bewertung. Jeder Beobachterin trägt die Eindrücke in das vorgegebene Raster ein. Nutze dabei Verfahren wie Mittelwertberechnung, Standardabweichung oder Gewichtung, um aus den Einzelbewertungen einen Gesamtscore zu ermitteln. Achte auf Konsistenz und spreche Unstimmigkeiten an. In größeren Teams bietet sich außerdem eine Moderator-Rolle an, die auf die Einhaltung des strukturierten Prozesses achtet.

Dokumentation und Feedback  
Ein oft unterschätzter Teil: Halte den gesamten Prozess schriftlich fest. So kannst Du später nachvollziehen, warum eine Agentur oder ein Team das Rennen gemacht hat. Durch Feedbackgespräche können alle Beteiligten lernen und sich weiterentwickeln. Denn der nächste Pitch kommt bestimmt.
 

Ausblick

Obwohl DIN 33430 ursprünglich für berufsbezogene Eignungsdiagnostik entwickelt wurde, wird ihr Prinzip der Strukturierung längst in anderen Kontexten eingesetzt. Das Bedürfnis, valide und verlässliche Entscheidungen zu treffen, wächst in allen Branchen – von klassischen Marketingpitches über Investorenrunden bis hin zu universitären Auswahlverfahren.
 
Gerade in Zeiten, in denen Transparenz und Fairness zunehmend an Bedeutung gewinnen, scheint die systematische Herangehensweise zukunftsweisend. Denn was wir wollen, ist eine Entscheidungsfindung, die für alle Beteiligten nachvollziehbar, vertrauenswürdig und weitgehend frei von Verzerrungen ist.
 
Mit einer wohlüberlegten, strukturierten Beobachtung und Bewertung holen wir aus unseren Pitchprozessen nicht nur die größtmögliche Objektivität heraus, sondern sorgen auch dafür, dass am Ende die wirklich beste Idee, das beste Konzept oder das beste Team den Zuschlag erhält. Oder um es in einem leicht abgewandelten Gladwell‘schen Gedanken zu sagen:
 
"Strukturierte Entscheidungen sind kein Luxus, sie sind der Schlüssel, um das Potenzial unserer kreativen Köpfe voll zu entfalten."
 

Fazit

Strukturierte Beobachtung und Bewertung in Pitchprozessen ist mehr als nur ein formales Korsett: Sie ist ein methodisches Vorgehen, um objektive, faire und reproduzierbare Ergebnisse zu erzielen. Mit klaren Kriterien, Schulungen für Beobachterinnen, standardisierten Bewertungsinstrumenten und transparenten Auswertungsverfahren legen wir den Grundstein für fundierte Entscheidungen. So wird der Pitch nicht zum Zufallsprodukt, sondern zum kontrollierten Prozess, der das auszeichnet, was wirklich zählt: die beste Idee und das fähigste Team.
 
Anmerkungen, Ergänzungen, Kritik gerne hier in den Kommentaren: